Die Angst an den Börsen ist zurück - Heiko Böhmer Blog

Die Angst ist zurück an den Börsen

Der Januar 2022 war nicht nur ein holpriger Start ins neue Börsenjahr. Es war auch der schwächste Monat seit dem Corona-Tief im März 2020. Und der Trend hat sich im Februar weiter fortgesetzt. Keine Frage: Die Angst ist zurück an den Märkten. Aus aktuellem Anlass möchte ich einmal dem Phänomen der Angst an den Börsen auf den Grund gehen.

Angst als persönliches Gefühl kennt jeder. Wir allen erinnern uns noch an die Kindheit und den Besuch im Freibad. Dann ging es irgendwann darum, den Sprung vom 3-Meter-Brett oder sogar vom großen Sprungturm zu wagen. Das Herz schlug schneller. Die Unsicherheit nahm zu. Die Wahrnehmung verengte sich auf diesen einen Punkt: Den Sprung ins Wasser.

Ganz ehrlich: An der Börse ist es oft nicht anders. Auch hier greift gelegentlich Angst um sich und verengt den Blickwinkel – wenn auch aus anderen Gründen. Solange die Kurse steigen, ist alles gut und man liegt richtig und geht oft ein zu hohes Risiko ein. Dann macht sich Gier breit – das zweite große Gefühl an den Finanzmärkten. Was die Gier alles anrichtet, werde ich schon bald in einem weiteren Blogbeitrag näher erläutern.

Doch wenn bei einem Stimmungsumschwung die Kurse fallen und die Urteilskraft eingeschränkt ist und einfach nur noch von einer diffusen Angst überdeckt wird, dann heißt das oft nichts Gutes für die weiteren Investmententscheidungen.

Aus Angst wird dann Panik – und die ist ansteckend. Wenn nur wenige Investoren ängstlich sind, geben die Kurse vielleicht etwas nach. Wenn aber die Masse Angst hat, wird daraus Panik und das kann Einzelwerte und Indizes zum Absturz bringen.

 

Angst ist menschlich – kann uns aber blockieren

 

Nun ist Angst ein wichtiges menschliches Gefühl mit vielen Vorteilen. Das galt natürlich besonders für unsere Vorfahren – ob nun im Neandertal oder sonst wo. Wenn damals Gefahr auftauchte, sorgte die Angst für den Anreiz zur Flucht. Angst sicherte also das Überleben im ganz praktischen Sinne.

Wir leben heute im 21. Jahrhundert. Das bedeutet ganz andere Herausforderungen für unser Gehirn. Wir müssen nur noch sehr selten wirklich flüchten, aber in solchen Phasen stattdessen schlicht und einfach einen klaren Kopf behalten. Genau das ist jedoch der springende Punkt: Wenn die Angst ins Spiel kommt, sind unsere Sinne vernebelt und wir handeln nicht mehr rational, sondern emotional.

An dieser Stelle wird gerne Warren Buffett zitiert mit den Worten: „Sei ängstlich, wenn andere gierig sind und sei gierig, wenn die anderen ängstlich sind.“ Das klingt wie eine einfache Weisheit. Doch wir alle wissen: Die Umsetzung ist so unendlich schwierig.

Wenn die öffentliche Meinung an den Finanzmärkten kippt und immer mehr negative Meldungen auftauchen, dann ist es schon sehr herausfordernd, weiter die positiven Aspekte zu sehen und das als Chance zu begreifen.

 

Wenn aus Angst Panik wird…

 

Genau das haben wir alle im März 2020 erlebt: Die großen Indizes fielen ins Bodenlose. Die Unsicherheit über den weiteren Fortgang der Corona-Krise war mit Händen zu greifen. Vom Hoch im Februar 2020 bis zum Tiefpunkt am 20. März rauschten große Indizes wie der DAX um fast 40 Prozent nach unten. Wer in dem wirklich panischen Umfeld den kühlen Kopf bewahrt hat und damals nahe dem Tief eingestiegen ist, der sitzt bis heute auf massiven Gewinnen. Aber das war wirklich nur eine kleine Minderheit.

Aus vielen Gesprächen mit Kollegen aus dem Umfeld der Vermögens-Verwalter weiß ich: Die Masse – auch der Profis – blieb danach erst einmal zurückhaltend. Und tatsächlich sind die Kurszuwächse seit dem Corona-Tief im März 2020 bis jetzt, knapp zwei Jahre später, immer noch sehr erstaunlich, mit Zuwächsen von fast 100 Prozent bei vielen Indizes. Dabei wird an den Finanzmärkten fast vergessen: Völlig vorbei ist die Krise immer noch nicht – auch wenn ein Ende der massiven Einschränkungen für das gesellschaftliche Leben und die Wirtschaft wohl absehbar sind. Die Angst ist sehr schnell verflogen – vielleicht auch zu schnell.

 

Angst an der Börse ist messbar

 

Die Angst an der Börse ist messbar, etwa mit Hilfe von Volatilitäts-Indizes. Die bilden die aktuellen Schwankungen an den Märkten ab. Als Basis dienen hier oft wichtige Aktienindizes. Wie der folgende Chart zeigt, geht es bei Stimmungsindikatoren vor allem um die Extremwerte. Und hier hat sich beispielsweise beim V-Dax, dem Schwankungsindex basierend auf dem deutschen Leitindex Dax, ein Wert von rund 30 als wichtige Marke herausgebildet.


Wenn der VDAX über 30 steigt, deuten sich Marktextreme an.

Der Chart zeigt deutlich, dass der Index nur selten dieses extreme Maß an Schwankungen erreicht. Oft ist dieser Punkt dann auch eine gute Marke, um neue Kaufpositionen aufzubauen. Denn wenn die Panik am größten ist, dann lohnt es sich schon einmal nach vorne zu schauen und wieder optimistisch zu werden. Tatsächlich haben die Ereignisse rund um die Ukraine-Krise zuletzt wieder gezeigt, wie stark und dynamisch die Schwankungen an den Märkten sein können. Mitte Februar erreichte der Markt zum Wochenstart einen V-Dax-Wert von annähernd 32. Danach beruhigte sich das Geschehen etwas. Die Angst vor einer Ausweitung des Ukraine-Konflikts ist aber weiterhin noch vorhanden. Zwar haben wir zuletzt wieder etwas steigende Kurse an den Börsen gesehen – aber die Angst ist noch zu greifen.

Der mögliche Krieg zwischen der Ukraine und Russland ist nur ein Risikofaktor für die globalen Finanzmärkte. Viel näher an den Finanzmärkten agieren die internationalen Notenbanken. Und auch deren Verhalten kann Angst bei den Investoren auslösen. Ähnliches gilt für wichtige Wirtschaftsdaten wie beispielsweise die Inflationsraten. Dieses Thema dominiert schon seit mehreren Monaten die Schlagzeilen.

 

Die Stimmung schwankt zwischen Fear & Greed

 

Im Englischen stehen die Begriffe Fear und Greed für Angst und Gier. Ein wichtiger Indikator zur Bestimmung der aktuellen Stimmungslage an den Finanzmärkten ist dabei der Fear & Greed-Index des US-Nachrichtensenders CNN. In die Berechnung fließen verschiedene Indikatoren ein, die ein sehr gutes Bild zur aktuellen Marktlage liefern. Dazu gehören u.a. die Marktbreite an der Börse in New York, das Momentum des S&P 500 Index oder auch das Verhältnis der Put- und Call-Optionen an der Wall Street. Der Index kann dann einen Wert zwischen 1 und 100 erreichen – wobei 1 extreme Angst und 100 extreme Gier anzeigt. Trotz der zuletzt turbulenten Phase steht der Index in diesen Tagen noch bei 36 und signalisiert damit zwar ein ängstliches Umfeld, ist aber weit entfernt von einer Panik.

Bei Shareholder Value Management haben wir diesen Index als Basis für eigene Indizes für die USA und Europa (Mr. Market Cockpit) herangezogen. Im Gegensatz zum CNN-Index fließen in unsere Indizes noch stärker die Entwicklung der Volatilität und auch die Credit-Spreads mit ein. Aufgrund der anderen Faktoren und Gewichtungen notieren unseren Fear & Greed-Indizes aktuell im Bereich um 20 und damit deutlich niedriger.


Seit dem Jahresanfang hat die Angst wieder stärker zugelegt und der Fear & Greed Index Europa ist deutlich gesunken.


Trotz der jüngsten Turbulenzen ist die Angst der US-Investoren noch deutlich geringer als zum ersten Tiefpunkt der Corona-Krise im März 2020.

Verschiedene Faktoren wirken massiv auf die Entwicklung der Finanzmärkte ein - und befeuern die massiven Gefühle wie Angst und Gier. Insofern ist es ratsam, nicht isoliert nur auf ein Einzelereignis zu schauen, sondern tatsächlich die Angstindikatoren an den Börsen im Blick zu behalten. Und hier gilt in den vergangenen Monaten etwas, was schon seit Beginn der Coronakrise zu beobachten ist: Die Abstürze an den Märkten sind zwar sehr dynamisch - aber zeitlich strikt begrenzt. Einzelereignissen sollte man dementsprechend nicht zu viel Bedeutung beimessen und die komplette Vermögensaufteilung an einzelnen Risikofaktoren ausrichten.

 

Trotz vieler Risiken: Schauen wir doch optimistisch in die Zukunft

 

Was bedeutet das nun für den Investoren-Alltag? Lösen wir uns vom Angst-Begriff und sprechen doch eher von Pessimismus und Optimismus als grundlegende Einschätzungen, die Menschen einnehmen können. Dann gibt es viele gute Gründe optimistisch und zuversichtlich in die Zukunft zu schauen und eben nicht immer das Schlimmste zu erwarten. Der US-Autor und Finanzexperte Morgan Housel bringt es so auf den Punkt: „Optimismus ist der Glaube, dass die Chancen auf ein positives Ergebnis langfristig betrachtet gut stehen – auch wenn es zwischenzeitlich Rückschläge geben wird.“ Also lassen Sie uns alle in diese Richtung arbeiten und versuchen die Dinge jeden Tag ein bisschen besser zu machen. Dann kommt erst gar keine Angst auf.

 

Heiko Böhmer

Heiko Böhmer

Heiko Böhmer verfügt über mehr als 20 Jahre Finanzmarkterfahrung. Als Kapitalmarktstratege bei Shareholder Value Management zeigt er, wie wirtschaftliche Entwicklungen und Anlagetrends zusammenhängen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf den Einzeltiteln und den Aktienstrategien von Shareholder Value Management.